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  Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0?

  B-Reserve für den Heimatschutz

  Fakten Bundeswehr aktuell

Bundeswehr im Münsterland

Heer im Wandel

Eckpunktepapier 2021

Wahl 2021: Vergesst die Sicherheit nicht!

Nach der Wahl 2021: Sind die Planungen noch aktuell?

Unbekannte Bundeswehr

Nachrichtenecke

- In der Ukrainekrise ist Deutschland im Gegensatz zu den Bündnispartnern zu keinen militärischen Unetrstützungsmaßnahmen bereit und betont die Prioriät des Dialogs mit Russland.

-Ministerin Lamprecht hat alle Planungen aufgrund des Eckpunktepapiers vom Mai 2021 vorerst auf Eis gelegt und neue Prüfungen angekündigt.

-Frau Christine Lamprecht (SPD) hat als neue Verteidigungsministerin die Befehls- und Kommandogewalt übernommen. Als parlamentarische Staatssekretäre vertreten Siemtje Möller und Thomas Hitschler die Fachexpertise. Aus dem Justizminiisterium soll Margarethe Sudhof als beamtete Staatssekretärin ins BMVg wechseln. Frau Strack Zimmermann (FDP) übernimmt den Vorsitz im Verteidigungsausschuss.

- Die Süddeutsche Zeitung meldet, dass die künftige Ampelregierung auf die Aufstockung der Bundeswehr von 184.000 auf 203.000 bis 2027 verzichten wird.

Lagebild Bundeswehr 2019  S. 2f

Bei uns ist man ständig dem Vorwurf des Säbelrasselns ausgesetzt, wenn Bundeswehr und NATO auf die möglichen Bedrohungen reagieren. Man sollte bei der Darstellung immer herausstellen, dass die eigentliche Gefährdung nicht in einem massiven strategischen Angriff, wie zur Zeit des Warschauer Paktes besteht, sondern in der Destabilisierung einzelner Regionen an der russischen Peripherie. … Russland möchte den Westen spalten und seine Nachbarstaaten mit allen Mitteln unter Druck setzen können. Dabei ist auch nie auszuschließen, dass in einer allgemeinen Krisensituation und nach Destabilisierung des Westens NATO-Territorium, das einst zum sowjetischen Machtbereich gehört hatte, als Faustpfand genommen werden könnte. Die Einnahme der Krim 2014 war ein Lehrstück. Wenn allerdings der Westen in solch einer Situation nicht bereit und fähig wäre, militärisch zu reagieren, würde die Allianz wahrscheinlich auseinanderbrechen und Russland eine Dominanz in Europa erlangen!  Dies zu verhindern und durch ausreichende Verteidigungsfähigkeit in allen Spektren vor jedem kriegerischen Abenteuer abzuschrecken, muss Ziel einer friedenserhaltenden Politik in Europa sein. Dabei tritt das militärische Element neben politische, diplomatische, ökonomische und kulturelle Bemühungen.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.3

Die russische Militärdoktrin beschreibt die Kräfte und Wirkmittel der offiziellen Militärdoktrin im Spektrum des hybriden Krieges und macht kein Geheimnis aus der Tatsache, dass die Russischen Föderation den Schutz von Russen über das eigene Territorium hinaus wahrnehmen würde. Sie versteht ihren strategischen Ansatz als defensive Maßnahme gegenüber einer Bedrohung aus dem Westen. Entscheidend ist dabei nicht die wahrgenommene, sondern die gefühlte Bedrohung, die sich auch daraus ergibt, dass das System Putin im Wettbewerb kaum zukunftsfähig ist. Russland verfügt über eine aggressive Militärdoktrin und ist ein einheitlich geführter autoritärer Akteur, der viele kleine Konflikte unterhalb der Art. 5 des NATO-Vertrages, der Schwelle für den Bündnisfall, schüren kann und damit den eigentlichen Bündnisfall unterläuft. Der politische Test kommt vor dem militärischen Test (Claudia Major). Russland als autoritärer Militärstaat unter einheitlicher Führung kann sehr schnell Entschlüsse fassen und Maßnahmen treffen und ist darin den Entscheidungsmechanismen der westlichen Demokratien und Allianzen überlegen. Die unter dem Schlagwort des hybriden Krieges umschriebenen Konfliktformen sind nicht grundsätzlich neu. Immer schon haben Konfliktparteien versucht, lange vor einem Waffeneinsatz die Gesellschaft und den Staat des Gegners zu zermürben.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.4

In der Friedenseuphorie der Neunzigerjahre hatte man auch den Fortbestand der nuklearen Bedrohung weitgehend ignoriert. Das Mittelstreckenwaffen-abkommen von 1987 und der Verzicht auf landgestützte taktische Nuklearwaffen der NATO, die bis 1992 gerade in der Bundesrepublik weit disloziert waren, hatten den Eindruck hinterlassen, dass es Atomwaffen als militärische Option gar nicht mehr gäbe. Auch hier musste man in den letzten Jahren wach werden. Nicht nur dass die Zahl der Atommächte mit Nordkorea gewachsen ist, auch eine denkbare iranische Bombe stellt immer noch ein Worst-Case-Szenario dar. Alle Staaten mit Atomwaffen oder derartigen Ambitionen haben ihre Trägersysteme weiterentwickelt und das Arsenal modernisiert. Unverhohlen wurde der Einsatz nuklearer Waffen auch wieder als militärische Möglichkeit propagiert.

Lagebild Bundeswehr 2019  S. 5

Zu den Gefährdungen der äußeren Sicherheit durch klassisches Militär hat sich die Gefährdung unseres gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens durch die Cyberbedrohung gesellt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, unsere digitale Welt lahm zu legen und auf mannigfaltige Weise Schaden zu stiften. Das ist nicht nur das Stören von Steuerungssystemen oder der Diebstahl von Wissen und Daten, sondern auch die Verbreitung von Falschinformationen zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Das besondere Problem ist hier, dass man den Angreifer nicht eindeutig identifizieren kann und die Gefährdung oft auch erst zu spät wahrnimmt und die "Golden Hour", den optimalen Zeitpunkt für Gegenmaßnahmen, verpasst. Angesichts unserer komplizierten juristischen Beschränkungen kann man auch nicht schnell und einheitlich reagieren.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.5f

Angesichts dieser Bedrohung ist es unerlässlich, dass die Kohäsion im Bündnis gewahrt wird, damit Russland gar nicht erst in Versuchung kommt. Es braucht wohl keine Erläuterung, in welchem Maße die Trump-Administration, die derzeitige britische Regierung, aber auch einige andere westliche Länder, nicht unbedingt im Sinne einer multilateralen Allianz handeln und wieder in nationale Egoismen zurückfallen. Der Westen spricht nicht mit einer Stimme, um den Dreiklang von Verteidigungsbereitschaft plus Abschreckung plus Gesprächsbereitschaft (Defence, Deterrence, Dialogue) artikulieren zu können. Überall scheinen die Anhänger einer multilateralen und regelbasierten internationalen Ordnung in der Defensive.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.8f

Die sicherheitspolitisch Verantwortlichen in Deutschland müssen bei all den Herausforderungen in einem politischen und gesellschaftlichen Spektrum agieren, das gegenüber diesen Fragen fast immer wenig Interesse zeigte. Das Präsidentenwort vom freundlichen Desinteresse gegenüber der Bundeswehr machte die Runde. Es gilt allgemein der Primat des Sozialen und jetzt ist auch die Klimafrage, die an sich ein nachhaltiges Daueranliegen hätte sein sollen, zu einem Hype ausgewachsen, der andere politische Schwerpunktaktivitäten auszubremsen droht. Hinzu kommt, dass die Regierungsfähigkeit in vielen europäischen Staaten, auch in Deutschland, nicht immer von stabiler Dauer ist. Die Regierungsbildungen werden immer schwieriger, da die Parteienlandschaft im Umbruch ist. Der Grundkonsens in Sachen Sicherheitspolitik, der zwischen den einstigen Volksparteien der Union und SPD bestanden hatte, ist nach den Wahlergebnissen der letzten Jahre keine verlässliche Größe mehr.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.8

Seit 2020 bestimmt die Pandemie das politische Handeln und wird die Balance zwischen Sicherheit und Sozialem im Koordinatensystem unseres Wohlfahrtsstaates noch mehr verschieben, so dass der Verteidigungsetat wieder zum finanziellen Steinbruch für die unvermeidlichen ökonomischen und sozialen Stabilisierungsmaßnahmen innen und außen zu werden droht. Die Folgen der Pandemie sind täglich gegenwärtig, Erschütterungen des sicherheitspolitischen Gefüges werden leider erst wahrgenommen, wenn sie wie ein Erdbeben plötzlich eingetreten sind und es für ein präventives Handeln zu spät ist.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.9

Da ist zuerst einmal die Neubewertung der Bündnis- und Landesverteidigung als Paradigmenwechsel. Seit dem Gipfel von Wales 2014 genießt sie als Reaktion auf die  russische Politik nach 2008 bei den Planungen und Aktivitäten wieder neues Gewicht. Die ab 2000 vorherrschende Vorstellung, dass man für eine Rekonstitution zur Landesverteidigung zehn Jahre Zeit habe, hat sich als Illusion erwiesen.

Lagebild Bundeswehr 2019  S. 12f.

Oft eilt allerdings auch die Selbstdarstellung von militärischen Projekten in Medien und Publizistik der Wirklichkeit weit voraus. Heeres- und Luftwaffenplaner malen Bilder einer voll vernetzten digitalisierten Kampfführung. Sind all die komplexen digitalisierten und vernetzten Systeme wirklich realisierbar? Es dauert immer länger bis hochkomplexe mit zahlreichen Rechnern und Sensoren ausgestattete Systeme wie der Schützenpanzer Puma oder das neue amerikanische Kampfflugzeug F 35 wirklich einsatzreif sind. Gibt es nicht zu viele Risiken für die Machbarkeit? Was ist, wenn Projekte so langsam umgesetzt werden, dass sie zum Zeitpunkt der Einführung schon veraltet sind. Steht in 20 Jahren tatsächlich ein deutsch- französisches Kampfflugzeug zur Verfügung, das fliegerisch und avionisch den Ansprüchen Mitte des Jahrhunderts genügen wird. Was passiert, wenn bei den durchdigitaliserten Waffensystemen die Rechner ausfallen und für einen Reset keine Zeit bleibt? Gibt es dann noch eine manuelle Notbedienung?

Lagebild Bundeswehr 2019  S. 13

Immer im Hintergrund beim Einsatz von unseren Streitkräften stehen Rechtsfragen. Das Grundgesetz gebietet ein Nebeneinander von Militär und ziviler Verwaltung, was Entscheidungsprozesse nicht immer erleichtert. Die Verfassungsregelungen für den Verteidigungsfall gehen noch von dem klassischen Bild eines groß angelegten Angriffs von außen aus und passen nicht mehr so recht zu den verdeckten schleichenden Abläufen in einem hybriden Kriegsbild, wo auch die innere und äußere Sicherheit nicht mehr klar zu trennen sind, da die Bedrohung nicht mehr nur von Kombattanten ausgeht. Darf man nach einem Cyberangriff mit einem "Hack Back" auch offensiv gegen einen möglichen, aber sehr schwer zu identifizierenden Angreifer jenseits der eigenen Grenzen vorgehen? Und wer darf das? Die Bundeswehr oder die zivilen Behörden? Und dann wird in Katastrophen- und Terrorlagen auch immer wieder die Kontroverse um einen erweiterten Einsatz der Bundeswehr und die Auslegung des Artikels 35 neu entfacht.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.14

Wer bewacht leere Kasernen, wer schützt die Depots, wer sichert die Verbindungswege, welche für das Transitland Deutschland im Rahmen der Rückversicherung unserer osteuropäischen Partner besonders wichtig geworden sind? Wer schützt die zahlreichen Objekte kritischer Infrastruktur im zivilen Bereich, die in die Tausende gehen? In früheren Strukturen konnte man davon ausgehen, dass im Hinterland umfassende Kräfte des militärischen Aufwuchses durch Reservisten zur Verfügung stehen würden. Schwer zu glauben ist, dass das vom Reservistenverband - weniger von der Bundeswehr - favorisierte Projekt von Landesregimentern mit den Kräften von ohnehin schon aufgestellten 30 RSU Kompanien ausreichende Präsenz in der Fläche zum Schutz kritischer Infrastrukturen beitragen könnte. Es fehlt eine im Spannungsfall schnell mobilisierbare Präsenz kleiner lokaler Reservistenformationen, die den Schutz empfindlicher Objekte gegen subversive Aktionen verstärken können und vor allem durch ein Netz von Beobachtern das Lagebild verdichten.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.18

Immer wieder wird von Politikern die Vision einer europäischen Armee als Patentlösung für die effiziente Nutzung der europäischen Kräfte ins Spiel gebracht. Sie gilt manchen als Garant einer strategischen Autonomie unseres Kontinents. Im Grunde handelte sich aber nur um ein Zauberwort. Niemand kann vorhersagen, ob die Nationen tatsächlich auf die Verfügungsgewalt über ihre Streitkräfte als Inbegriff nationaler Souveränität verzichten und sie einer zentralen politischen Autorität unterstellen werden. Es kann keine europäische Armee ohne einen europäischen Staat geben! Der deutsche Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Streitkräfte ist dabei angesichts der sehr unterschiedlichen Einsatzphilosophien bei unseren Nachbarn, vor allem in Frankreich, nur ein Teil des Problems. Die deutsche Kultur der Zurückhaltung wird auf Dauer nicht durchzuhalten sein.

Lagebild Bundeswehr 2019  S.20

Die von der Trump-Administration als „Strafaktion“ kurz vor den US-Wahlen verkündete Truppenreduktion wird die Bedeutung Deutschlands als Drehscheibe für Bündnisverstärkung schon aufgrund seiner geographischen Lage nicht schmälern können und wird sicherlich von künftigen US-Administrationen politisch wieder neu bewertet werden.

Was ist los mit der Bundeswehr – Handzettel für die politische Diskussion. S.1

Der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) brachte die Sache auf den Punkt: „Ohne Sicherheit ist alles nichts!“. Äußere Sicherheit gehört ebenso zur Daseinsvorsorge wie Fragen der Rente, Bildung, Kinderbetreuung, Infrastruktur und Gesundheit. Deshalb sollten diese Fragen regelmäßig im Parlament Gegenstand der Debatte und Kontroverse sein. Das geschieht bei uns zu wenig. Sicherheitspolitik darf sich nicht auf das Management von Skandalen und Ausrüstungsdefiziten beschränken.

Was ist los mit der Bundeswehr – Handzettel für die politische Diskussion. S.1

In die Verantwortung der Politik fiel die überoptimistische, aber populäre Fehlbewertung der sicherheitspolitischen Lage in Europa  nach 1990, in der man sich „von Freunden umzingelt“ wähnte, eilfertig die Fähigkeiten zur Verteidigung abbaute und sich nur noch dem Krisenmanagement an der Peripherie verpflichten wollte. Die vernachlässigte Verteidigungsfähigkeit muss nun mühsam wiedererworben und finanziert werden. Primat der Politik bedeutet auch eine Verpflichtung, alle Aspekte einer Entscheidung nach politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen, moralischen und auch militärischen Gesichtspunkten mit Sachargumenten und Blick auf die Zukunft abzuwägen und nicht nur auf Stimmungen zu schielen, die sehr schnell umschlagen können. Vor allem sollte sie nicht auf einen Primat der Politiker beim Anspruch auf Wahrheiten verengt werden. Um Entscheidungen ohne fachkundige Beratung allein zu treffen, dürfte vielen Mandatsträgern schlichtweg die Kompetenz fehlen.

Was ist los mit der Bundeswehr – Handzettel für die politische Diskussion.S.2

Der angedachte zusätzliche Finanzbedarf für das nächste Jahrzehnt in Höhe eines kompletten Verteidigungsjahresetats ist Kompensation  jahrzehntelanger Unterfinanzierung und keine ambitionierte Aufrüstungspolitik. Dem Steuerzahler sollte transparent gemacht werden, was und wofür und in welcher Zahl benötigt wird. Dies wird gern vermieden, weil dabei unvermeidlich Tabuthemen wie Krieg und Gefecht öffentlich erörtert werden müssen. Die Befähigung zum Kampf als grundlegende Konstante jedes militärischen Auftrages darf nicht verschwiegen werden!

Was ist los mit der Bundeswehr – Handzettel für die politische Diskussion.S.4

Der Neubewertung der Landes- und Bündnisverteidigung aufgrund der Veränderungen in der russischen Politik hat sich mittlerweile herumgesprochen, dennoch bleiben die Ansichten über die Absichten unseres größten Nachbarn im Osten immer ungewiss und eine Bewertung der Risiken und Potenziale erfolgt nur in Fachkreisen. Dies in öffentlicher Breite zu diskutieren unterbleibt sicher auch deshalb, weil man – verständlicherweise - die Tür für Kooperation und Diplomatie nicht zuschlagen möchte und ein Teil des Wählervolkes Putin deutlich unkritischer sieht. Der sicherheitspolitisch interessierte Bürger würde schon gern die militärischen Kapazitäten und Optionen Moskaus aus unabhängigen seriösen Quellen kennen und sich nicht nur an der Wahrnehmung Washingtons und der Selbstdarstellung russischer Macht in den Medien orientieren. Vor allem interessiert die Frage, wie man Russlands Stärke angesichts schwacher ökonomischer Daten und niedriger offizieller Zahlen zum russischen Militärhaushalt bewerten soll. ... Die unvermeidliche Fortsetzung der Verteidigungsintegration sollte die NATO als bewährtes Instrument der Kooperation nicht vernachlässigen. Es muss vermieden werden, eine immer noch mit vielen Unbekannten versehene Europäisierung der Verteidigung als Gegenpol zu den USA aufzubauen. Vielmehr sollte ein starkes Europa in der NATO als Partner der USA mit Worten und Taten zur Geltung kommen.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.2f.

Wir konzentrieren uns gern auf die innere Befindlichkeit der Gesellschaft, auf unser materielles Wohlergehen, artikulieren beständig unser Unbehagen bei zahllosen realen oder gefühlten Defiziten. Deutschland in der Mitte Europas erscheint von außen wie eine Insel der Seligen, auch wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht. Politische und wirtschaftliche Gewichte verschieben sich, staatliche Ordnungen zerbrechen. Demokratische Wertvorstellungen werden herausgefordert, die Weltbevölkerung wächst und ist in Bewegung. Ökologische und ökonomische Krisen, der technologische Wandel und zahlreiche Formen der Gewalt bleiben ein Risiko für unseren gewohnten Alltag. Jeder Tag produziert neue Nachrichten, neue Aufregung, aber wenig Deutung und Perspektive. Wir sind nicht allein auf der Welt, die Sicherheit unserer politischen und gesellschaftlichen Lebensform nicht naturgegeben. Nur gemeinsam mit Partnern in der Welt können wir uns schützen und entwickeln. Sicherheit und Frieden müssen beständig erarbeitet und erworben werden. Dazu bedarf es vieler Instrumente. Die Bundeswehr ist nicht das einzige, aber sicher eines der wichtigsten.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.2

Die Sicherheitspolitik Deutschlands ist zu wichtig, um sie durch dauerndes Nörgeln zu zerreden.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.2f.

Bei aller Modernität und militärischen Effizienz sollte sich die Bundeswehr auch weiterhin guten Traditionen wie der des Staatsbürgers in Uniform und der Verteidigung des Friedens in einer solidarischen Völkergemeinschaft verpflichtet fühlen. Dabei sind noch viele Schritte auf einem steinigen Weg zu tun. Es ist sehr schwierig, aber unabdingbar, große politische Grundfragen wie soziale Sicherheit und Fürsorge, technologische und ökonomische Entwicklung, Klimaschutz und äußere Sicherheit gleichzeitig mit gleicher Aufmerksamkeit zu diskutieren und zu lösen und nicht der Versuchung zu erliegen, die Prioritäten aus subjektiven Motiven gegeneinander auszuspielen!

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.9

Der zurzeit desolate Zustand der Streitkräfte erfordert entschlossene Führung, loyale Mitarbeiter und ein in Sachen Sicherheitspolitik ebenso kritisches, wie engagiertes und kompetentes Parlament. Hier dürften einige Fragezeichen anzubringen sein. Zwar werden angesichts der sicherheitspolitischen Lage bei NATO-Gipfeln großzügig weitere Finanzmittel zugesagt, dann aber im Kabinett beim Hickhack um den Haushalt zum Teil wieder zurückgezogen und von Koalitionspolitikern bei öffentlichen Auftritten vor der eigenen Wählerklientel in Frage gestellt. Bekenntnisse zur Bundeswehr gibt es in öffentlichen Papieren und Reden, aber deutlich weniger in öffentlich geführten Debatten.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.19f.

Bei allen Waffensystemen sollte man sich nicht auf die Probleme des eigenen Geräts fokussieren, sondern immer auch die Entwicklungen eines potentiellen Gegners im Auge behalten und sich ständig fragen, ob das eigene System überhaupt noch der Bedrohung gerecht ist. Man darf sich nicht allein auf das zurzeit dominierende Thema der Einsatzbereitschaft und des Klarstands beschränken.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.28

Das Thema Drohnen ist auch in der Luftwaffe durch die Dauerdebatte zwischen Gegnern und Befürwortern ihrer Bewaffnung belastet. Hier werden unvermeidliche Modernisierungen bei den militärischen Konzepten blockiert, während weltweit die Ausstattung mit unbemannten und zum Dauereinsatz befähigten Luftfahrzeugen ungeachtet aller moralischen Bedenken fortgesetzt wird.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.45

Die (Fregatte) Klasse 125 ist speziell für lang dauernde Einsätze im Rahmen von Friedensmissionen weltweit konzipiert worden. Besonderer Wert wurde auf lange Einsatzzeiten zwischen den Werftliegeterminen, Schutz gegen asymmetrische Bedrohungen, Kapazitäten für die Unterbringung von Personal für Land-operationen, hohe Automatisierung und geringen Personalbedarf gelegt. Wechselbesatzungen sollen Stehzeiten im Einsatzgebiet von zwei Jahren sicherstellen. Für die Landzielbekämpfung wurde auch wieder ein großkalibriges Geschütz (127 mm) mit weitreichender Munition eingebaut. Es bleibt allerdings offen, ob diese Fähigkeit jemals in einem vom Bundestag mandatierten Einsatz abgefragt würde. Der Kampf gegen einen gleichwertigen Gegner mit Seezielflugkörpern und die U-Boot Abwehr haben den Entwurf weniger bestimmt. Auch an dieser Stelle mag man die früher getroffenen Entscheidungen (Minister Struck) zur Priorisierung von Auslandseinsätzen und den Verlust klassischer, nun wieder benötigter Fähigkeiten bedauern. Das Projekt F 125 entstand in einer Ära als die Neubestimmung des Auftrages der Bundeswehr als internationaler Friedensstreitmacht allgemeiner Konsens wurde und zu einem Bruch mit traditionellen Konzepten und Strukturen führte.  Für den Schutz der Seewege im Atlantik würde man heute sicher eine andere Konfiguration der Fregatte wählen.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.58

Der Heimatschutz muss wieder neu gewichtet werden. Es gibt ca. 3000 identifizierte zivile und militärische Objekte mit kritischer Infrastruktur. Auch das unzureichende Eigenschutzkonzept der Bundeswehr ist ein viel zu wenig beachtetes Thema. … Vehement fordert der Reservistenverband die Aufstellung von Landesregimentern für eine ca. 30.000 Reservedienstleistende umfassende Nationale Reserve für den Heimatschutz und Unterstützungsleistungen, aber der hohe Bedarf an Infanteristen dürfte dem Vorhaben wenig Erfolgschancen geben. Die von der Bundeswehr gestellten hohen Ansprüche an Qualifizierung und Verfügbarkeit von Reservisten (Prinzip der Freiwilligkeit) dürfte dem Aufwuchs zur Landesverteidigung Grenzen setzen. Schon in der aktuellen Struktur sind nur knapp die Hälfte der ca. 62.000 vorgesehenen Dienstposten für Reservedienstleistende (Spiegeldienstposten, Verstärkungsreserve, Territoriale Reserve, Ergänzungstruppenteile) besetzt!

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.61

Rekrutieren sich zurzeit noch viele Reservedienstleistende aus den Reihen ehemaliger Wehrpflichtige und Zeitsoldaten (derzeit um die 600.000 mit sinkender Tendenz), sind die in deutlich geringerer Zahl ausscheidenden Freiwilligen der aktuellen Struktur erst einmal mit der beruflichen und privaten Neubestimmung beschäftigt. Hier hat man mittlerweile vorgesehen, diese ehemaligen Soldaten künftig auch wieder ohne Freiwilligkeit zu beordern. Allerdings sollen Reservistendienste während dieser Grundbeorderung in Friedenszeiten weiterhin freiwillig bleiben. …. Der Versuch, Ungediente durch eine militärische Ausbildung in gemeinsamer Verantwortung von Bundeswehr und Reservistenverband zu gewinnen, mag das Fehl an Beorderungen etwas mildern, löst aber nicht das strukturelle Grundproblem. Vor diesem Hintergrund sind auch die hartnäckigen Forderungen im Reservistenverband nach einer eigenständigen Heimatschutz-struktur Makulatur und werden von der Bundeswehr mit Skepsis betrachtet. Ein Blick auf die Verteilung der 30 RSU Kompanien mit Schwerpunkt im Süden und der wichtigen Schutzobjekte mit Schwerpunkten im Westen und dem Osten Deutschlands weist Diskrepanzen auf. Die beorderungswilligen Reservisten wohnen meist nicht dort, wo sich Depots, Fernmeldeeinrichtungen und wichtige Standorte befinden. Hier wird man über pragmatische Modelle nachdenken müssen, um zusätzliche „Manpower“ zur raschen Verstärkung im Heimat- und Katastrophenschutz zur Verfügung haben. Die von der Truppe für ihre Ergänzung und Verstärkung geforderten durch Lehrgänge und viele Wehrübungen qualifizierten Auswahlreservisten kommen dafür kaum in Frage. Hier setzt auch die Verfügbarkeit von Berufstätigen über längere Übungszeiträume und Zustimmung der Arbeitgeber enge Grenzen. Es sollte darum gehen, neben der strukturgebundenen Verstärkungsreserve und territorialen Reserve aus dem rückläufigen, aber noch ca. 600.000 Personen zählenden Potential von beorderungsfähigen Bürgern zusätzliche Interessenten zu gewinnen, die sich durch freiwilliges Engagement an ausgewählten Wochenenden militärisch in Übung halten, um den Kontakt zur Bundeswehr nicht völlig zu verlieren.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.65ff.

In der Presse war die Aufstellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum (CIR) in Bonn schon im Vorfeld unter dem Eindruck des Zauberwortes „Cyber“ als große Innovation präsentiert worden und die Vorstellung, dass es künftig ein Heer von Hackern in Uniform geben würde, stand im Raume. Eine Informations- und Kommunikationsgesellschaft begrüßt jede Schutzmaßnahme an dieser Achillesferse. Bei der Sichtung des ersten Organigramms des CIR war allerdings zu erkennen, dass es sich in erster Linie um eine Ausgliederung von Fernmelde- und Aufklärungskräften aus der Streitkräftebasis handelt, deren Bestand sich auf die Anfangstage der Bundeswehr zurückführen lässt. ... Angesichts der unbestrittenen Bedeutung, die der Informationsraum des Netzes für Agitation, Falschinformation und psychologische Kriegführung, aber auch für die Informationsgewinnung bekommen hat, und in Kenntnis der Verletzlichkeit von Kommunikationsnetzen, ist die Verknüpfung der o.g. Kräfte der gelben Waffenfarbe mit einer in Aufbau befindlichen Komponente zur Abwehr von Bedrohungen für die IT-Netze auf der einen Seite und Entwicklung von Fähigkeiten zur operativen Nutzung des Cyberinformationsraums auf der anderen Seite nachvollziehbar. Rechtliche Schranken und Verteilung der Kompetenzen in einem föderalen Rechtsstaat beschränken allerdings die erworbenen Kompetenzen weitgehend auf den Eigenschutz der Bundeswehr und engen die operativen Möglichkeiten auf einen im Sinne des Grundgesetze eindeutig zu definierenden Aggressors von außen ein. Hier entsprechen die rechtlichen Vorgaben aber nicht den Handlungsmöglichkeiten, welche die Technologie einer verdeckten Aggression bietet. Bei Angriffen im Netz, weiß man meist nicht, „wer den Säbel führt“. Im Kommando CIR möchte man künftig im Cyberraum nicht nur reagieren, sondern auch aktiv wirken zu könne. ... Die Eingliederung der Komponente Cybersicherheit in das IT-Kommando macht Sinn, wenn es um die Schutz der bundeswehreigenen Netze geht. Eine gesamtstaatliche Funktion für diesen Bereich hat das CIR nicht. Hier liegt die Verantwortung bei den Innenministerien in Bund und Ländern. …. In die Befähigung des Kommandos CIR zum elektronischen Kampf hat man auch das Zentrum für Cyberoperationen eingeordnet, das in gleicher Weise für defensive und offensive Aufgaben in der Netzwelt befähigt werden soll. Hier bewegt man sich rechtlich sicherlich sehr schnell in Grauzonen, da die vom Grundgesetz für den Spannungs- und Verteidigungsfall und für die Trennung von äußerer und innerer Sicherheit gemachten Vorgaben und Definitionen von Kriegshandlungen angesichts der technologischen medialen Entwicklungen nicht mehr recht passen.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.71f.

Zum hybriden Kriegsbild: Der Übergang zur Aggression kann fließend sein. Der Cyberraum bietet zahlreiche Möglichkeiten einem als Gegner definierten Staat und seiner Infrastruktur umfassend zu schaden und wichtige Funktionen zu beeinträchtigen oder auszuschalten. Durch Steigerung der Operationen von Geheimdiensten sind Übergriffe auf missliebige Personen und verdeckte Positionierung von eigenem Personal zur Kontrolle von Schlüsselstellungen oder Schlüsselpunkten möglich. Die Eroberung der Krim liefert eine Blaupause wie durch den Einsatz von irregulären paramilitärischen Kräften und Spezialkräften der allmähliche Übergang zur offenen Aggression ablaufen kann. Im Hintergrund kann dabei durch den Aufmarsch und durch Manöver der regulären Streitkräfte eine Drohkulisse aufgebaut werden, die den Gegner zum Aufgeben zwingen soll, bevor ein Schuss gefallen ist. Ist dies nicht der Fall, bleibt immer noch die Möglichkeit des Einmarsches, um das Territorium des Gegners in Besitz zu nehmen. Das Szenario zeigt, dass die bei uns immer noch gepflegte strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit fragwürdig ist. Auf diese Szenarien muss die NATO mit einer breiten Palette von Maßnahmen reagieren können.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.74

Aufgrund des Truppenabbaus der letzten Jahrzehnte fehlen in Europa jetzt die Kräfte, um auf die neue Sicherheitslage reagieren zu können und die Verantwortung der Europäer für ihre eigene militärische Sicherheit zu verbessern. Die Forderung nach verstärkter Kooperation der Streitkräfte und Rüstung ist nicht neu, gewinnt aber jetzt neues Gewicht. Für sich gesehen sind die Streitkräfte von 28 Mitgliedsländern in  EU bzw. NATO - von den USA einmal abgesehen - national in Sicherheitsfragen nicht wirklich allein handlungsfähig. Die vorhandenen Potentiale müssen durch Zusammenarbeit gebündelt und intensiver genutzt werden. Mit maßgeblicher deutscher Beteiligung hat die NATO das Konzept von Rahmennationen entwickelt. Ein Staat übernimmt die Verantwortung, eine militärische Fähigkeit im Bündnis in leitender Verantwortung (Lead Nation) weiterzuentwickeln bzw. ein Einsatzkontingent im Rahmen der Bündnisverteidigung zu organisieren.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.79

Die Anwerbung von Freiwilligen steht unter dem Konkurrenzdruck einer boomenden Wirtschaft und den ebenfalls werbenden zivilen Sicherheitsorganisationen in Polizei und Justiz. In der Publizistik tauchte der Bedarf von jährlich 120.000 Neueinsteigern für Militär, Polizei, Justiz und private Sicherheitsdienste auf. Das für 2027 angestrebte Volumen von 203.000 Soldaten dürfte für die im neuen Fähigkeitsprofil beschriebenen Ambitionen nicht reichen. Im Bühler-Plan war davon die Rede, aktive Soldaten ohne unmittelbare Einbindung in einen operativen Verband als interne Reservisten einzuplanen, während sie im aktiven Friedensbetrieb in Ämtern, in der Ausbildung und dem Berufsförderungsdienst Dienst tun. Die tatsächliche Zahl an „Kämpfern“ in der Truppe wird recht anschaulich durch die angestrebte Zahl von 120.000 Sturmgewehren als Nachfolger des G 36 zahlenmäßig umrissen. Als vergleichbare Bezugsgröße kann man die Bundeswehr vor 1990 mit 495.000 Soldaten hinzuziehen. Auch damals konnte die angestrebte Stärke von zwölf Divisionen mit zusätzlichen Korpstruppen und dem Territorialheer als Vollaufstellung nicht erreicht werden. Überall gab es einzelne Einheiten, die nur als Kader aufgestellt waren und mit Reservisten hätten aufgefüllt werden müssen. In Relation dazu wären drei Divisionen bei einer Stärke von 200.000 unter Abzug von Kräften für die anderen Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche eine realistische Maximalgröße. Die Wehrpflicht, die zuletzt mit wenigen Dienstmonaten kaum noch ins Gewicht fiel, war militärisch nicht mehr zweckmäßig. Sie band viele Kräfte für die Ausbildung, sorgte allerdings für einen kontinuierlichen Strom von potentiellen Längerdienern in die Truppe. Die zuletzt wieder zur Diskussion gestellte Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, ist mehr der staatsbürgerlichen Erziehung und den Personaldefiziten bei den sozialen Diensten und Hilfsorganisationen geschuldet. In der aktuellen Situation dürfte sie die Truppe mehr belasten als ihr nutzen.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.80

Die zweite Kernfrage für die Trendwenden bei Personal und Gerät besteht in der Verfügbarkeit von Finanzmitteln und der politischen Bereitschaft, diese auch für den Militäretat bereitzustellen. Die Begehrlichkeiten anderer Ressorts sind groß und Militärausgaben unpopulär. Das Zwei - Prozentziel bleibt eine Deklamation und ist für Deutschland gegenwärtig unrealistisch. Man kann es schon als Erfolg ansehen, wenn der Etat wie vereinbart bis 2024 auf 1,5 % des Sozialprodukts ansteigen sollte. Die Daten von Konjunktur und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schienen vor 2020 günstig, aber die politische Instabilität in der Parteienlandschaft ließen schon vor Corona an dem politischen Willen Zweifel aufkommen. Die Pandemie 2020 mit den großen nationalen und internationalen Hilfsprogrammen auf Pump dürften viele Planungen Makulatur werden lassen.

Bekommen wir eine Bundeswehr 4.0? S.82

Über das neue Fähigkeitsprofil für 2031: Eine Umsetzung des Programms würde einen jährlichen Verteidigungsetat von 60 Milliarden erfordern. Offen bleibt die Frage, ob Gesellschaft, Parteien und Parlament diese Pläne mittragen werden und die Aufstockung auf über 200.000 Soldaten gelingt. Der Vorschlag, durch ein Bundeswehrverstärkungsgesetz eine langfristige Selbstverpflichtung des Parlaments für die Sicherheitspolitik zu schaffen, fand kein Gehör. Unserer Politik und Gesellschaft fällt es schwer, Sicherheitspolitik, Klimapolitik, Sozialpolitik, Bildung, Ökonomie und technologischen Fortschritt als gleichwertige Zukunftsaufgaben in der Balance zu halten!

RK Fakten Sipo, S.3ff

+   Autonome Waffensysteme: Waffensysteme, die aufgrund digitaler künstlicher Intelligenz den Waffeneinsatz auch ohne menschliche Befehle und Entscheidungen in automatisierten Abläufen durchführen können. Dies wäre zum Beispiel bei Drohnen der Fall, die sich ihre Zielobjekte in der Einsatzzone selbstständig suchen und diese ohne Feuerleitung durch einen Bediener bekämpfen. Einen autonomen Feuerkampf gab es auch schon als Modus des Flugabwehrraketensystems PATRIOT gegen Massenangriffe mit automatisierter Zielbekämpfung in ausgewählter Reihenfolge nach rechnerischer Risikobewertung. Denkbar wären auch unbemannte Artilleriesysteme, die sich zeitweise autonom im Gelände bewegen und den Feuerkampf aufgrund der Ergebnisse von vernetzten Sensoren und Waffenrechnern führen. Davon abgrenzen muss man Systeme, die sich nach dem „Fire and Forget“ -Prinzip nach Zielzuweisung durch den Menschen selbstständig in das Ziel steuern. …

+   Künstliche Intelligenz: Die Informatik versucht,  durch Künstliche Intelligenz Entscheidungsabläufe des menschlichen Gehirns in digitalen Systemen nachzuahmen. Das Niveau der KI ist davon abhängig, inwieweit die eingegebenen Algorithmen nur menschliche Denkabläufe imitieren oder Lernprozesse der Maschine möglich sind. KI ist nicht nur Grundlage autonomer Waffensysteme, sondern auch notwendig für die Auswahl von Informationen in der Datenflut von Führungsinformationssystemen und für autonomes Fahren oder Fliegen. In Deutschland ist die Kritik wegen der reduzierten Rolle des Menschen besonders ausgeprägt ….

+  Nukleare Teilhabe: Seit Jahrzehnten gängiges Verfahren zur Einbindung von nichtnuklearen NATO-Staaten in die nukleare Planung und Einsatzstruktur durch die USA. Die USA lagern nukleare Gefechtsköpfe in den Partnerstaaten, die wiederum Trägerwaffen bereitstellen, um diese Sprengsätze nach Freigabe durch die USA ins Ziel bringen zu können. Im Augenblick werden für die nukleare Teilhabe nur Flugzeuge genutzt, da die NATO ihre taktischen Raketen und Nuklearartillerie abgebaut hat. Es gibt prinzipiell keine offiziell bestätigten Details zur nuklearen Teilhabe, aber aufgrund zahlreicher Fakten kann man als gegeben annehmen, dass Deutschland mit dem Taktischen Luftwaffengeschwader 33 in Büchel an der nuklearen Teilhabe beteiligt ist. Die ab 2025 beginnende Außerdienststellung des Kampfflugzeugs Tornado macht wegen der nuklearen Teilhabe die überfällige Nachfolgeentscheidung zu einer brisanten politischen Streitfrage in der Bundespolitik….

 +  Rüstungskontrolle: Durch zahlreiche Abkommen wurde während und nach dem Ost-West-Konflikt in unterschiedlichen Phasen der Versuch unternommen, eine Eskalation des Wettrüstens, vor allem der nuklearen Gefahren, zu verhindern. Rüstungskontrolle ist stark von der Interessenlage und den politischen Beziehungen der teilnehmenden Mächte, der technologischen Entwicklung und den Veränderungen im internationalen Kräftefeld abhängig. Staaten, die an der Rüstungskontrolle ursprünglich nicht beteiligt waren, schaffen oft neue Tatsachen, die den ursprünglichen Inhalt und Geist der Abkommen in Frage stellen. Genannt seien hier China, der Iran, Nordkorea, Indien, Pakistan, aber auch Israel. Die Motivation der Teilnehmerstaaten ist auch von innenpolitischen Entwicklungen abhängig. Rüstungskontrolle muss durch vereinbarte Kontroll- und Konsultations-mechanismen „implementiert“ (umgesetzt) und „verifiziert“(überwacht) werden. Verträge müssen von den Parlamenten ratifiziert werden, haben nur begrenzte Laufzeiten und bedürfen dann neuer Bestätigung oder Anpassung. Scheitert die Unterzeichnung oder Ratifizierung, bleibt es den Regierungen unbenommen, sich dennoch gemäß den Vereinbarungen zu verhalten, ohne dazu völkerrechtlich verpflichtet zu sein. Rüstungskontrollabkommen ohne Anspruch auf Vollständigkeit: nuklearer Teststopp, Nichtverbreitungsvertrag, KSE-Vertrag, Offener Himmel, START I-II, ABM-Vertrag, INF-Abkommen, Weltraumvertrag ….

In der Bundeswehr ist die militärische Expertise für Rüstungskontrolle mit dem Zentrum für Verifikation (Überwachung) in Geilenkirchen planerisch abgebildet. …

+  strategisch: militärische Entscheidungen, Operationen und Waffensysteme, die das gesamte Territorium und Potential der Konfliktgegner einbeziehen…..

+ taktisch: militärische Entscheidungen, Operationen und Waffensysteme, die nur das unmittelbare Geschehen auf dem Gefechtsfeld betreffen. Die Trennung taktisch und strategisch ist bei Nuklearwaffen wegen der verheerenden Auswirkungen fragwürdig. Bei Krisenstabilisierungsoperationen kann auch die Fehlentscheidung eines einzelnen taktischen Führers strategische Auswirkungen haben, wenn die Stimmung im ganzen Lande dadurch kippt.

RK Fakten Sipo S. 8

+ Die Erfahrungen mit dem Krisenverhalten der Bevölkerung in der Corona-Krise lassen auch Rückschlüsse auf das Verhalten in einer außenpolitischen Konfliktlage zu. Nach anfänglichen Schockbildern und Angst vor dem noch unbekannten Gesundheitsrisiko waren der Konsens und die Regeltreue anfangs hoch, bröckelten dann aber ab, als die Pandemiemaßnahmen die gewohnte „Genusskultur“ dauerhafter einschränkten. Die staatsbürgerliche Loyalität  scheint in manchen Kreisen arge Risse bekommen zu haben. …

+ Die Hinwendung zur Krisenintervention in den 90er Jahren ruinierte die Fähigkeiten zur Landes -/ Bündnisverteidigung weil die Strukturen für einen Aufwuchs über Bord geworfen wurden. Anfangs fand Krisenintervention die Zustimmung der Öffentlichkeit, die sich von humanitärer Rhetorik blenden ließ. Die Bundeswehr wurde auf die Krisenrolle zugeschnitten, auch als Preis für eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Als die aufwuchsfähige Wehrpflichtarmee verschwand, entfiel auch die rechtliche Grundlage der Dienstpflicht. Wer ihre Wiedereinführung will, muss in Wirklichkeit die Rückkehr zur Aufwuchsarmee fordern! In der aktuellen Struktur macht Wehrpflicht keinen Sinn! ….

+ Ohne soliden finanziellen Unterbau kann der militärische Auftrag nicht erfüllt werden. Der Anteil der Verteidigungshaushalte am Bruttoinlandsprodukt sagt aber noch nichts über die erbrachten Fähigkeiten für das Bündnis aus. Die Struktur der Haushalte hängt auch von den nationalen Sicherheitstraditionen ab. Am Ende zählt nur, welche Mittel konkret dem Bündnis zu gute kommen. ….

+ Jahrzehntelang gab es keine grundlegenden Unterschiede in den verteidigungspolitischen Ansichten der „Volksparteien“. Mit dem Schwinden der Volksparteien und dem Trend zu Richtungsparteien, die durch ihre populären Lieblingsthemen geprägt werden, entfällt der Zwang, das ungeliebte Feld der Sicherheitspolitik zu bedienen. ….

+ Der amerikanische Nuklearschirm scheint zu bröckeln, die nukleare Teilhabe einzelner europäischer Partner auch. Russland modernisiert seine nuklearen Arsenale. Frankreich als mutmaßlich drittgrößte Atommacht der Welt betrachtet sie als Ultima Ratio nationaler Souveränität. Ist Europa militärisch autonom? ….

+ Rechtstrend in der Bundeswehr? Drohnenkrieg per Joystick? Schlagzeilen und Klischees bestimmen das Bild der Truppe in der Medienlandschaft. Wer sorgt sich um ihren Auftrag und die Risiken für unsere Sicherheit? ….

+ Digitalisierung als alleiniger Kompass? Digitalisierung verspricht hohe Leistungen und Präzision. Funktioniert sie auch in einem Gefecht? …

+ Nie wieder Atomkrieg – Nie wieder konventioneller Krieg. Die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki sollte uns auch vor Augen führen: Wer den Atomkrieg ausschließen will, muss auch den konventionellen Großkonflikt verhindern! Es gibt keinen isolierten nuklearen Ausstieg. Jede Konfrontation der großen Mächte in Europa birgt das Risiko der nuklearen Eskalation. Atomwaffenfrei ist eine Zone erst dann, wenn von außen keine Atomwaffen hinein abgefeuert werden können!

Heer im Wandel S. 69f

Zu Rolle der Nuklearwaffen: Die erste Funktion der Atomwaffen bestand in der Abschreckung jeder Aggression, weil der Angreifer das Risiko der eigenen Vernichtung vermeiden würde. Für den Fall des Versagens der Abschreckung, sollte das Vorhandensein zahlreicher nuklearer Gefechtsköpfe und Träger auf den verschiedensten Ebenen den Aggressor im Krieg vom Einsatz seiner Atomwaffen abhalten (“interwar deterrence”). Dementsprechend mussten alle Kontingente in der Abwehrfront nuklear bewaffnet werden können, nicht nur die der klassischen Atommächte. In der “Schichttorte” durfte keine atomwaffenfreie Lücke zum Angriff einladen. Darüber hinaus sah man in einer sehr vielseitigen Palette nuklearer Einsatzmittel von der Atomgranate an der Front bis hinauf zu den strategischen Flugköpern in den Silos und U-Booten der USA ein politisches Mittel zur Kriegsbeendigung. Der begrenzte Einsatz von taktischen Sprengkörpern konnte gewissermaßen als Signalschuss wirken, um den Angreifer zur Einstellung der Aggression zu bewegen, weil auch er eine große Eskalation zur fürchten hätte. Es entstanden umstrittene Modelle einer durch die Politik beherrschbaren Eskalationsleiter als Alternative zum unvermeidlichen großen strategischen Schlagabtausch und Weltuntergang. Darüber hinaus blieb bei den Militärs immer noch die Versuchung bestehen, die konventionelle Unterlegenheit dadurch auszugleichen, dass man in einem großen Kriege die Angriffsformationen eben doch noch auf diesem Wege ausschaltete. Zumindest sollte der Angreifer zur Auflockerung gezwungen werden, um keine Atomziele zu bieten. Kräftekonzentrationen für eine Offensive wollte man so unter Risiko halten.  …

Die Reduzierung des Schadens mit miniaturisierten Nuklearsprengköpfen konnte aus deutscher Sicht nur eine relative Größe sein. Im dicht besiedelten Mitteleuropa hätte jeder Atomwaffeneinsatz ein unverantwortbares Risiko dargestellt!  Der Unterschied zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen, die Adenauer einmal als „Fortentwicklung der Artillerie“ bezeichnet hatte, war in diesem Raum reine Theorie. Aus deutscher Sicht durfte die taktische Abschreckung nicht von der strategischen Abschreckung auf dem Territorium der Supermächte abgekoppelt werden. Auch das Panzergefecht in der Lüneburger Heide musste für einen Angreifer das hohe Risiko in sich bergen, möglicherweise sehr schnell den Stolperdraht  für das Abfeuern strategischer US-Raketen gegen Ziele in der Sowjetunion und damit die globale Apokalypse auszulösen. Somit hatten die Atomwaffenträger der Bundeswehr letztlich vor allem als politische Waffen zu einer glaubwürdigen Abschreckung und Verknüpfung mit den Bündnispartnern beizutragen, gleiche Risiken zu teilen und gleiche Entschlossenheit zu signalisieren. Mit eigenen Beiträgen zur nuklearen Einsatzfähigkeit der Allianz sicherte sich die Bundesrepublik die Mitsprache in der Nuklearen Planungsgruppe.

Heer im Wandel S. 84f

Zum Thema Kampfdrohnen: In diesen Zusammenhang gehört natürlich auch die Diskussion um die Einführung bewaffneter Drohnen bei der Bundeswehr,  die von den Ministern de Maizière und von der Leyen angekündigt wurde.  Dies ist keine primär von den USA zu verantwortende “aufgezwungene” Einsatzoption,  denn das Heer plante schon für die neunziger Jahre zur Panzerbekämpfung die Einführung der Kampfdrohne TAIFUN auf der Basis der Drohne KZO. Jede Diskussion um die beschriebenen Einsatzoptionen ist immer wieder durch Berichte über  Opfer in der Zivilbevölkerung in den außereuropäischen Krisen- und Kriegsgebieten belastet, bei denen aus der Entfernung nur durch ferne Kommandozentralen kontrollierte Waffensysteme ihr Ziel verfehlten. Der im Militär schon länger gebräuchliche Begriff der “Kollateralschäden” ist so auch schon zu einem Unwort des Jahres geworden. Die negative Berichterstattung unterstreicht die Bedeutung, die dem Verbund von Aufklärung und Führungsinformation und der Zuverlässigkeit der Systeme zukommen, und dass Einführung und Betrieb besonders kritischer Begleitung bedürfen.  Echte oder in den Medien übertriebene Waffenskandale begleiten die Geschichte der Bundeswehr und dienten nur zu oft der Infragestellung des Auftrages ohne wirkliches Interesse an funktionierenden Streitkräften …

S.89ff:

Die Absichtsbekundungen des BMVg haben erwartungsgemäß zu Gegenreaktionen geführt.

Die Bedenken werden vorwiegend aus den Kreisen geäußert, die generell große Distanz zum Militär als Teil staatlicher Sicherheitsvorsorge zeigen.  Für Zündstoff in der Diskussion sorgen die vor allem in der Präsidentschaft von Obama ausgeweiteten US-Einsätze in den asiatischen Krisengebieten und Rückzugsgebieten von Aufständischen in den Nachbarstaaten, bei denen durch unbeteiligte zivile Opfer die Grenzen derartiger Systeme vor Augen geführt werden. Hinzu kommt die berechtigte kritische Auseinandersetzung mit den gängigen widerlichen Kriegsspielen in einer virtuellen Computerwelt,  die unreflektiert auf die Einsatzkräfte in den Bodenkontrollstationen der Drohneneinheiten übertragen werden. Da machen Bilder von  beliebig tötenden „Joystick“-Bedienern in Containern die Runde, die hinterher mit großen psychologischen Problemen zu kämpfen haben. …

Ethische Bedenken gegen „Krieger,“  die aus sicherer Distanz töten, erinnern etwas an das Bedauern über den Untergang der Ideale des Rittertums und den Verlust des ehrenhaften Kampfes „Mann gegen Mann“ durch die neuzeitliche Kriegführung.  Abgesehen davon, dass dieses Bild vom ritterlichen Kampf auch im Mittelalter schon nicht stimmte, unterscheidet den Drohnenbediener fern vom Gefechtsfeld wenig  vom geschützbedienenden Kanonier oder Kampfpiloten, der sich beim Fehlen eines gleichwertig ausgerüsteten Hochwertgegners auch in relativer Sicherheit wiegen kann. Wenn sich die Bodenstation im Einsatzgebiet befindet, teilt der Drohnenbediener mit anderen Kontingentsoldaten das gleiche Risiko. Natürlich führt das Bild von Drohnenpiloten in den USA, die Personen und Ziele in fernen Gebieten an den Bildschirmen ausschalten und dann zu ihren Familien nach Dienstschluss zurückkehren zu Irritationen.  Die Einsätze gegen Terrorgruppen in Pakistan sind völkerrechtlich umstritten,  aber die Bedrohungen der Gegenwart durch Anschläge global agierender nichtstaatliche Gruppen sind häufig nicht mehr in juristischen Begriffen des bisherigen  Kriegsvölkerrechts zu fassen.  Völkerrechtlich legitime Verteidigung ist nach der Definition eine Reaktion auf gesteuerte Gewalteinwirkung von außen, sofern man den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. ….

Jeder Waffenbediener in der Bundeswehr unterliegt den strengen Regularien des Waffeneinsatzes durch politische Mandatierung und ununterbrochene Kontrolle durch die politische und militärische Führung. In der Bodenstation sind in der Regel sogar mehr Soldaten an der letzten Einsatzentscheidung beteiligt als das bei den heute in Regel nur mit einem Kampfpiloten besetzten Jets. Die Kontrolle des Waffeneinsatzes liegt auch hier bis zum Schluss bei Menschen als Bedienern und Führern. Die Vorstellung von sich verselbstständigenden Kampfrobotern wäre technisch sicher realisierbar, ist aber politisch wenig wahrscheinlich und bleibt (hoffentlich) Science Fiction.

Die ethische und politische Bewertung eines Einsatzes bei dem das Töten eines Gegners in Kauf genommen wird, unterscheiden sich bei einem Panzersoldaten und Drohnenbediener nicht. Es handelt sich um die gleichen Legitimationsfragen zum Soldatenberuf, welche die Bundeswehr seit den Aufbaujahren begleiten.